in: Die Mauer-Berlin ´61. Teil 4 Regie: Hartmut Schoen. 2005-2006
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Fluchtversuch.
Vor der Szene.
Paul, der Sohn von Hans und Katharina, versucht seinerseits, die Grenze in den Westen zu überwinden, um wieder bei seinen Eltern sein zu können.
Er entflieht seiner Pionier-Erziehung in einem Kinderheim, streunt durch die Straßen auf der Suche nach Essbarem, als seine Klavierlehrerin Lavinia Kellermann ihn findet und spontan bei sich aufnimmt.
Paul überredet Lavinia, mit ihm zusammen in eines der von Mietern geräumten Grenzwohnhäuser zu gehen, deren Fensterrückfront direkt auf Westgebiet führt. Lavinia spielt die Begleitperson des Pioniers Paul, der im Auftrag der Partei den Grenzpolizisten für ihre Arbeit danken soll.
Die beiden schaffen es, unbemerkt in die oberen Stockwerke des Hauses zu gelangen. Im Erdgeschoß und im ersten Stock sind die Fenster bereits vermauert. Dort ist kein Hinauskommen, nur die Fenster im zweiten Stock sind noch zugänglich.
Lavinia und Paul warten im zweiten Stock versteckt, bis es dunkel ist.
Sie werden tatsächlich nicht entdeckt.
Hans und Katharina hatten ihren Sohn schon am Nachmittag ins Haus gehen sehen und verlassen den Platz nicht.
Die ganze Zeit stehen sie direkt jenseits des Stacheldrahts und schauen zu dem Haus hinüber, in dem sie ihren Sohn wissen.
Die Szene.
Abends. Es ist dunkel.
Paul geht zum Fenster und setzt sich auf die Fensterbank, die Beine baumeln bereits herunter, da versucht Katharina vom unten , ihrem Sohn Zeichen zu geben. Sie reisst sich zusammen, vermindert ihre Gestensprache ins Unauffällige.
Hans sichert mit ängstlichem Blick zu den Grenzpolizisten, bevor er es wagt, zu seinem Sohn hochzusehen. Er lacht kurz.
Jetzt, da sich etwas bewegt, Hoffnung möglich ist, füllt sich Hans´ vorher scheinbar leere Hülle wieder mit ihm selbst, seinem Willen, seinem ich. Er gewinnt sehr schnell an Substanz, ist da, beginnt zu handeln.
Wenige Schritte bringen ihn zu einem Polizisten. Er spricht ihn leise an.
Da sind zwei, die wollen runter.
...is mein Kind.
Der Polizist reagiert geistesgegenwärtig. Er bleibt unbeweglich unauffällig, fragt aber hellwach, schnell und alarmiert:
Wo?
Hans unterdrückt seine Aufregung, ganz leise und gestenarm:
Da hinter mir, im zweiten Stock.
Der Polizist wirft einen unauffälligen Blick auf die Stelle, erkennt die Lage und geht nach einem
...Moment ...
weg.
Ein zweiter Westpolizist sichert mit unruhigem Blick nach den Ostgrenzpolizisten. Auch wir werfen einen Blick hinüber, sehen drei Wachsoldaten drüben. Sie haben nichts bemerkt.
Nahaufnahme Hans.
Wir sehen ihn von hinten. Er geht von uns weg. Auch in diesen wenigen Momenten, da wir nur seinen Rücken sehen, bemerken wir: er sieht aus wie ein Mensch, der einfach jederzeit einen Nackenschlag erwartet.
Der Polizist verständigt über Funktelefon die Feuerwehr.
..vierundzwanzig an eins, vierundzwanzig an eins...(...) ...aber ganz schnell...
hören wir.
Hans zu Katharina:
Die holen jemanden. Ich glaub´, die Feuerwehr.
Oben sitzt Paul auf der Fensterbank des zweiten Stocks, ungefähr. zehn Meter über dem Erdboden, die Beine baumeln noch immer nach draussen. Seine Mutter bedeutet ihm
Nicht springen....
Paul wartet. Alle warten, die Polizisten, Passanten, Hans, Katharina.
Leider blicken immer mehr der umstehenden Leute zu Paul hoch. Die Blicke der Schaulustigen ziehen die Blicke der Grenzpolizisten ebenfalls auf die Stelle.
Wir sind dicht hinter Katharina und Hans . Wir sehen mit ihnen hinauf zum zweiten Stock.
...nicht springen...
wiederholt Katharina leise.
Wir sehen Paul als kleine Silhouette vor dem erhellten Zimmerhintergrund.
Ihr dürft nich´ springen. flüstert Katharina.
Jetzt stehen schon elf Schaulustige herum, die alle zu Paul hochsehen.
Paul gibt seiner Mutter Zeichen, dass er sie verstanden hat.
Auf der Ostseite bei den Grenzsoldaten. Sie wollen rauchen. Der eine zum Anderen:
Gib mir mal eine.
Na jez´ fangen se langsam an, des Maul zu halten, wird auch Zeit.
Wir sehen jetzt schon insgesamt sieben Ost-Grenzpolizisten und -soldaten. Sie rauchen, einer blickt durch den Stacheldrahtzaun hinüber zu den Menschen im Westen.
Er erlauert, dass da was nicht stimmt. Die Leute verhalten sich auffällig, normabweichend.
Subjektiver Blick durch die Augen des Grenzsoldaten. Er sieht Hans. Und gerade Hans´ Blick zu seinem Sohn ist es, der den Blick des Ostgrenzers auf die heiße Stelle lenkt.
Der Soldat halblaut: Scheiße, Mann.
Los, Alarm! Gib Alarm Mann!
Schon schreien die Polizisten Befehle .
Oben bei Paul. Er sieht nach Lavinia.
Die Alarmsirene beginnt repetierend zu heulen.
Das Ehepaar hofft weiter, den Wettlauf mit der Zeit zu gewinnen. Hans ist erregt, besorgt, erschrocken, sieht sich um.
Schnitt.
Im Zimmer bei Paul und Lavinia.
Lavinia versucht, Möbel vor die Tür zu schieben, um Zeit zu gewinnen, wenn die Grenzsoldaten einzudringen versuchen.
Die Kommode ist zu niedrig, um die Türklinke zu blockieren.
Die Soldaten haben die Tür erreicht. Schreie von draussen. Paul sitzt immer noch auf der Fensterbank. Die Feuerwehr kommt und kommt nicht.
Die Männer beginnen, die Tür einzuschlagen, Lavinia hält dagegen, schreit zu Paul
Bleib am Fenster, bleib am Fenster!!!
Paul gehorcht nicht, er steigt von der Fensterbank, will Lavinia helfen.
Wir wieder unten bei den Eltern.
Wir sehen, was sie sehen, dass Paul vom Fenster verschwindet.
Hinter Hans und Katharina stehen jetzt schon circa zwanzig, dreissig Passanten. Hans hat Angst, fasst trotzdem seine Frau um die Schulter, hält sie.
Oben im Zimmer.
Schreie. Die Polizisten brüllen, man solle die Tür aufmachen.
Die Tür zerbirst unter den anhaltenden Schlägen eines Feuerbeiles.
Insert auf Hände und Füße der Beiden im Zimmer, wir sehen, wie ihre Kraft nicht ausreicht, dass ihre Füße samt Kommode über den Boden rückwärts gedrückt werden.
Die beiden können die Kommode nicht mehr halten.
Lavinia stürzt.
Ein Grenzsoldat gibt der Tür wütende Schläge mit den Gewehrkolben.
Er durchschlägt die Tür. Paul rennt zum Fenster, Lavinia schreit auf ihn ein...
Wir verstehen sie nicht, aber Paul entscheidet sich in seiner Panik, Schutz bei Lavinia zu suchen, er rennt zu ihr hin, umklammert sie, hat Angst.
Die Tür gibt nach.
Mehr als zehn Grenzsoldaten dringen ein, zielen mit Gewehren auf die weinende Frau und den Knaben.
Der Fluchtversuch ist misslungen.
Unser letzter Blick hier oben im Zimmer fällt auf Lavinia und Paul. Lavinia hält Paul fest an sich gedrückt, über ihre Schulter sehen wir den verängstigten Kinderblick.
Schnitt.
Von Draussen auf das Fenster.
Die schwarze Silhouette eines Grenzsoldaten nähert sich und schließt die Fensterflügel.
Schnitt.
Wir direkt vor Hans und Katharina. Sie hören auf, zum Fenster hinaufzusehen. Hinter ihnen fährt die Feuerwehr vor, ein großer Einsatzwagen mit Leiter.
Katharina ist noch starr entsetzt.
Hans schwarzer leerer Blick ist bereits dort, wo er seinen Sohn finden wird:
im Nirgendwo.
Er dreht sich um und geht langsam zwischen den Leuten hindurch weg von der Stelle. Er verschwindet aus unserem Blickfeld.
Die Kamera geht in die Vogelperspektive, über die Kopfe der Menschen hinweg.
Wir hören im Voice over den Erzähler.
Die Kuhlkes warteten -
....auch als klar wurde, dass sie ihren Sohn nicht wiedersehen würden.
....Als sie ihr Leben weiter führten, warteten sie.
Wie so viele.
Sie warteten achtundzwanzig Jahre, zwei Monate und achtundzwanzig Tage.
Dann fiel die Mauer.
....und als sie sich wieder trafen,
waren sie sich fremd.
- - -
2006-2007 Heino Ferch – Hans Kuhlke, Inka Friedrich - Katharina Kuhlke, Iris Berben – Lavinia Kellermann, Axel Prahl – Erwin Sawatzke,
Frederick Lau – Paul Kuhlke, Wilfried Hochholdinger - Horst Klingspiel (Erzieher im sozialistischen Geiste), Markus Boysen - Rechtsanwalt Dr. Hanno von Krampnitz
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